(Un)sinn des Lebens
von Christina Gasser (Kommentare: 0) Kurzgeschichten

»(Un)sinn des Lebens« ist ein Buch, das mit ironischen, tragischen und poetisch-philosophischen Geschichten einen Einblick in die schicksalhafte Wirklichkeit, in die Fantasie, Utopie und den Idealismus gewährt.
Die Menschen, von denen erzählt wird, sind unterschiedlichen Charakters, leben in unterschiedlichen Lebensumständen, an verschiedenen Orten und in verschiedenen Beziehungen. Trotzdem verbindet alle ein ähnliches Thema: Sie versuchen sich im Leben zurechtzufinden, daraus auszubrechen oder ihr Schicksal anzunehmen. Wie ihnen das gelingt, davon erzählt dieses Buch.
(Asaro Verlag, Sprakensehl, 2005)
Leseprobe aus: Der Mörder
»Was wollen Sie hier? Wie sind Sie überhaupt in meine Wohnung gekommen?«, fragte Hofer gereizt.
»Was ich hier will? Kannst du dir das nicht denken?« Der Anwalt blickte ihn mit kalten Augen an.
»Nein. Ich habe keine Ahnung.«
»Lügner!«, schrie Keller. »Typen wie du glauben wohl, dass sie sich mit ihrem Geld alles kaufen können. Selbst einen Freispruch vor Gericht, nicht wahr?«
Die Adern auf der Stirn des Rechtsanwaltes traten blau hervor. Hofer sah das Blut pochen.
»Was ich hier will?«, krächzte Keller. »Ich will, dass du die Wahrheit sagst. Ich will, dass du gestehst!«
»Gestehen? Was denn?«
»Dass du meinen Jungen ermordet hast!«
Hofer erschauderte ob der Stimmgewalt des Anwalts und drückte sich tiefer in den Sessel. »Das war ich nicht«, sagte er rasch.
»Lügner!«, brüllte Keller.
Hofer sah den grossen Mann argwöhnisch an. »Ich wurde freigesprochen«, sagte er. »Der Prozess ist vorbei!«
»Es ist vorbei, wenn ich sage, dass es vorbei ist! Fehlurteile kommen bedauerlicherweise vor. Wir werden den Fall neu aufrollen. Das ist gar kein Problem.«
Nervös rutschte Hofer auf dem Sessel hin und her.
»Warum hast du ihn getötet, hm?«, fragte August Keller mit einer Stimme, die zu brechen drohte. »Warum?« Er hatte sich nach vorn gebeugt, starrte Hofer lauernd und unverwandt an.
Der Bedrängte wagte nicht zu blinzeln. Er fühlte, wie ihm die Hitze in die Wangen kroch. »Ich ... also ...«
»Wag es nicht noch einmal, mich zu belügen!«, drohte ihm der Rechtsanwalt und liess ihn keinen Moment aus den Augen.
Dem ist alles zuzutrauen, dachte Hofer und entschied sich für die Wahrheit: »Er hat mir die Maske heruntergerissen«, sagte er scharf. »Er hat mein Gesicht gesehen! Er hätte mich wiedererkannt! Da habe ich ... rot gesehen.« Hofer senkte den Blick. »Ich wollte ihn nicht umbringen, das müssen Sie mir glauben! Es war ein Unfall.«
»Ha, ein Unfall! Du mieser, kleiner Feigling.« Keller griff in seine Manteltasche und holte eine Pistole heraus. »Hast wohl geglaubt, dass dich Papa wieder aus dem Schlamassel holt, was?«
Hofer sass die Angst im Nacken, gab sich aber grösste Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.
»Wer rettet dich jetzt, hm?«, sagte der Rechtsanwalt provozierend, wiegte die Waffe in seiner behandschuhten Hand und presste sie an Hofers Schläfe. »Wer hilft dir jetzt?«
Hofer war zwischen Angst und Kühnheit hin- und hergerissen. Energisch schob er das Kinn nach vorn und sagte dreist: »Sie schiessen ja doch nicht!«
»Wir werden sehen«, entgegnete Keller gelassen, »wir werden sehen.«
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